Italien

Ciao Dortmund

Besonders in Süditalien war die wirtschaftliche Lage für viele Menschen nach dem Zweiten Weltkrieg katastrophal: Einigen wenigen sehr reichen Grundbesitzer*innen gehörte das Land seit Jahrhunderten, die meisten Männer konnten dauerhaft keiner geregelten Arbeit nachgehen. Viele mussten sich als Tagelöhner in der Landwirtschaft oder auf dem Bau verdingen. Auch die Alphabetisierung der Bevölkerung war schlecht. Aussicht auf eine Besserung der Lage bestand nicht.

So trat zu Beginn der 1950er Jahre Italien an die Bundesrepublik in der Hoffnung heran, ein Abkommen zur Entsendung von Arbeitskräften schließen zu können. In Deutschland stand man dieser Idee zunächst noch kritisch gegenüber, herrschte doch noch kriegs- und flüchtlingsbedingter Wohnungsmangel und auch die Beschäftigungslage sah nicht überall gut aus. Doch dies sollte sich recht schnell ändern. Schon 1955 schloss die Bundesrepublik mit Italien ein Anwerbeabkommen, das zum Musterbeispiel für alle folgenden Abkommen werden sollte.

Mit der Annahme einer Arbeitsstelle in Deutschland bot sich vielen italienischen Arbeiter*innen erstmals die Möglichkeit, die finanzielle Situation für ihre Familien nachhaltig zu verbessern. Einige junge Männer sahen die Arbeit im Ausland auch als Chance, den oft sehr beengten Verhältnissen zu Hause entfliehen zu können. In Neapel und Verona organisierte eine Kommission die Anwerbung von Arbeiter*innen für deutsche Firmen. Bevor die italienischen Arbeitskräfte jedoch ihre Fahrt gen Norden antreten durften, mussten sie sich eingehender Gesundheitschecks unterziehen.

Im Ruhrgebiet waren die italienischen Arbeiter*innen meist unter Tage und in Stahlwerken tätig. Das hart verdiente Geld schickten sie in die Heimat. Schnell galten sie als ungeheuer fleißige Arbeiter*innen, die mit Freude Überstunden in Kauf nahmen. Gern gesehen waren sie jedoch nicht in allen Firmen, wechselten viele von ihnen doch immer wieder den Arbeitsplatz, wenn es an einer anderen Stelle mehr Arbeit und bessere Verdienstmöglichkeiten gab.
Die hiesige Bevölkerung begegnete den Italiener*innen mit vielen Vorurteilen: Sie seien ungebildet, altmodisch, zu laut und zu religiös. Dementsprechend schwer war es für die italienischen Arbeiter*innen, Anschluss in der Fremde zu finden. Selbst das Ausgehen am Wochenende war für sie nicht einfach möglich, verweigerten viele Restaurants Italiener*innen doch den Zutritt. Das Gefühl, unwillkommen zu sein, verstärkte noch das Heimweh und viele zogen sich vollkommen zurück, verbrachten ihre Zeit nur in ihren zu den Fabriken gehörenden Sammelunterkünften. Freude bot oft nur der Urlaub in Italien, während dem man sich im einstigen Heimatdorf wieder zu Hause fühlte.

In den 1970er Jahren änderte sich die Lage langsam: Immer mehr Arbeiter*innen holten ihre Familien nach Deutschland, langsam entstanden auch Freundschaften und Beziehungen mit den Deutschen. Man begann sich in Vereinen zu engagieren und wurde auch gewerkschaftlich aktiv. Doch wirklich angekommen war man in der neuen Heimat noch immer nicht. Sprachprobleme gab es weiterhin und viele Kinder der ehemaligen Gastarbeiter*innen, die nun mit zwei Sprachen aufwuchsen, hatten mit Überforderung in der Schule zu kämpfen. Obwohl eine Rückkehr nach Italien nun nicht mehr vorgesehen war, blieben sie für viele Deutsche nur Gäste. Noch in den 80er Jahren wurde ein „Gesetz zur Förderung der Rückkehrbereitschaft von Ausländern“ beschlossen.
Heute sind die ehemaligen italienischen Gastarbeiter*innen und ihre Familien aus dem Ruhrgebiet und aus Deutschland nicht mehr wegzudenken.


Quellen:
Asfur, Anke (Hg.): Neapel – Bochum – Rimini: Arbeiten in Deutschland. Urlaub in Italien, Essen 2003.

Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Hg.): Immer bunter. Einwanderungsland Deutschland – Begleitbuch zur Ausstellung im Haus der Geschichte, Mainz 2014.

Westfälisches Industriemuseum Zeche Hannover: Angekommen… La Regione della Ruhr – Migrantengeschichten aus dem Bergbau. „Wo wohnen ihre Gastarbeiter?“ auf: https://www.italiener.angekommen.com/Bundesrepublik_WoWohnenIhreGastarbeiter.html (abgerufen am 28.10.2019)

Bundeszentrale für politische Bildung: Italienische Zuwanderung nach Deutschland. Zwischen institutionalisierten Migrationsprozessen und lokaler Integration, auf: http://www.bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/deutschlandarchiv/259001/italienische-zuwanderung-nach-deutschland (abgerufen am 28.10.2019)

Pitronaci, Giuseppe: Gelandet auf dem Planeten Bochum, in: Fluter – Magazin der Bundeszentrale für politische Bildung, auf: https://www.fluter.de/gelandet-auf-planet-bochum (abgerufen am 28.10.2019)