Polen

Cześć Dortmund

Mitte des 19. Jahrhunderts befand sich das Ruhrgebiet in einer Phase des rasenden wirtschaftlichen Aufschwungs. Zechen blühten, Hüttenwerke sprossen aus dem Boden. Für die boomende Industrie reichte die Arbeitskraft der ansässigen Bevölkerung schnell nicht mehr aus.

Um dem wachsenden Bedarf an Arbeitern gerecht zu werden, wurden professionelle Werber in die preußischen Ostgebiete geschickt, um junge Männer zu einer Auswanderung ins Ruhrgebiet zu bewegen. Als gelobtes Land sah man „das Revier“ besonders in den Gebieten, in denen damals Hunger und Missernten herrschten.

Einige der Zuwanderer kamen aus Oberschlesien – eine Region, die in ihrer städtischen und industriellen Struktur dem Ruhrgebiet nicht unähnlich war. Andere stammten aus eher ländlichen Regionen, wie z.B. Masuren. Um ihnen die Eingewöhnung zu erleichtern, versprach man ihnen ländliche Siedlungen, die zumindest in Teilen eine bäuerliche Lebensweise ermöglichen sollten.

Und die Menschen kamen zu tausenden: Viele der jungen Männer schrieben Briefe in die Heimat und veranlassten so Freunde und Verwandte, ebenfalls den Weg gen Westen anzutreten und ihr Glück im Ruhrgebiet zu versuchen. Zu Beginn des ersten Weltkriegs arbeiteten etwa 350.000 Menschen in der Rhein-Ruhr-Region, die man unter dem negativ geprägten Begriff „Ruhrpolen“ zusammenfasste.

Die Zuwanderer waren preußische Staatsbürger polnischer Sprache und obwohl ihre Arbeitskraft dringend benötigt wurde und sie gezielt aufgefordert worden waren, ins Ruhrgebiet zu kommen, schlug ihnen Misstrauen und Ablehnung entgegen. Die Bezeichnung „Pollacke“ wurde geläufig. Die einheimischen Arbeiter fühlten sich ihnen weit überlegen, machten die eingewanderten Arbeiter dafür verantwortlich, dass aus dem einst hochangesehenen Beruf des Bergmanns nun ein einfacher Lohnarbeiter geworden sei, so heiß es in der Gewerkschaftszeitung „Der Bergknappe“ in einem Artikel aus dem Jahre 1907. Schnell waren die neu entstandenen Werkssiedlungen, in denen die Zuwanderer lebten, isolierte Inseln in der Stadtgesellschaft. Auch seitens des Staates gab es Repressalien: Man setzte sich zum Ziel, die Zuwanderer zu „germanisieren“. Sie wurden überwacht und politisches Engagement unterdrückt. Und auch an ihren Arbeitsstätten waren sie nicht gut gelitten: Oft genug wurden sie als Streikbrecher missbraucht, ihre Löhne waren nicht selten geringer als die der einheimischen Arbeiter. 1899 sah die „Bergpolizeiordnung des Königliches Oberbergamtes Dortmund“ vor, polnisch-sprachige Arbeiter mit geringen Deutschkenntnissen zu entlassen.

Die Zugewanderten reagierten auf die Ablehnung, die ihnen entgegenschlug mit einer verstärkten Besinnung auf ihre Kultur und Sprache. Polnische Vereine und Gemeinden sprossen aus dem Boden und erhielten großen Zulauf. So auch an der Dreifaltigkeitskirche: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren ein Drittel ihrer Gemeindemitglieder polnischsprachig. Sie gründeten drei Arbeitervereine und die Rosenkranzbruderschaft.

Als nach dem Ersten Weltkrieg der Staat Polen gegründet wurde, zog es viele zurück in den Osten. Andere jedoch bevorzugten einen Schritt gen Westen und versuchten ihr Glück in anderen europäischen Industriegebieten. In den folgenden Jahren rissen die Gängelungen und Repressalien nicht ab: Während der Ruhrbesetzung waren besonders die polnischen Arbeiter von Entlassungen betroffen. Oft gab es auch Gewalt gegen Polen. Polnische Vereine übernahmen nun verstärkt Aufgaben der sozialen und psychischen Stabilisierung ihrer Mitglieder. Während der NS-Zeit konnte es gar lebensgefährlich sein, sich zum Polentum zu bekennen.

Erst während der Nachkriegsjahre näherte man sich zunehmend an. Freundschaften entstanden, das durchlässiger werdende Vereinsleben trug sein Übriges bei.


Quellen:

Kift, Dagmar (Hg.): Polen – Ruhr: Zuwanderung zwischen 1871 und heute, Essen 2007.

Lenz, Cedric: Die Ruhrpolen und Ruhrpolinnen, in: Krull, Lena (Hg.): Westfälische Erinnerungsorte. Beiträge zum kollektiven Gedächtnis einer Region, Paderborn 2017, S. 319-330.

Porta Polonica – Dokumentationsstelle zur Kultur und Geschichte der Polen in Deutschland. https://www.porta-polonica.de/de/atlas-der-erinnerungsorte/die-ruhrpolen (abgerufen am 28.2.2019)

Art.: Ruhrpolen, auf: https://www.dhm.de/archiv/ausstellungen/zuwanderungsland-deutschland/migrationen/rooms/0306.htm (abgerufen am 28.2.2019)

Belzyt, Leszek: Zur Frage des nationalen Bewusstseins der Masuren im 19. Und 20. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung Bd. 45, Nr. 1 (1996), s. 35-71.

Dahlmann, Dittmer; Kotowski, Albert S.; Karpus, Zbigniew (Hg.): Schimanski, Kuzorra und andere. Polnische Einwanderer im Ruhrgebiet zwischen der Reichsgründung und dem Zweiten Weltkrieg, Essen 2005.

Schröder, Christina: Vor 80 Jahren – die sogenannte „Polenaktion“, in: Schalom – Zeitung des jüdischen Museums Westfalen, Nr. 83 (2018), S. 19-20.